Am 2. September 2014 veröffentlichte Mascha Gessen, eine Aktivistin für die Rechte sexueller Minderheiten, in der viel zitierten New York Review of Books (NYR) einen Artikel mit dem provokativen Titel Die sterbenden Russen, der mit einer düsteren Winterfotografie illustriert wurde, die 1997 am Bahnhof einer kleinen Stadt südwestlich von Moskau aufgenommen wurde, in Aprelewka. Das Bild zeigt Menschen, von hinten, die in gebeugter Haltung Eisenbahngleise queren. Über dieses negative Bild hinaus ist auch der Denkansatz, der in dem Artikel entwickelt wird, von empörender Voreingenommenheit, einzig, um Putins Politik zu schmähen, dass er im Grunde vor allem zeigt, dass die liberale Opposition der jetzigen russischen Regierung nur über einen knappen Vorrat an Argumenten und Ideen verfügt. In dem Versuch, dem russischen Frühling etwas entgegen zu setzen, bleibt einigen westlichen Demografieexperten nichts als die Lüge.
Der Bevölkerungsrückgang der 90er
Zwischen 1991 und 1999 brach die russische Geburtenrate zusammen und gleichzeitig explodierte die Sterblichkeit, so dass die Bevölkerung des Landes nennenswert zurückging, um fast eine Million Einwohner im Jahr. Damals war Russland in den Händen einer Elite, die entschlossen war, das Land zusammenbrechen zu lassen, in einem Vorgang, den sie als einen wirtschaftlichen Übergang darstellten, der zumindest innerhalb der Grenzen Russlands ausser Kontrolle geraten war. Der Kollaps der Bevölkerung während dieser Periode war etwas, das historisch noch nie geschehen war, schlimmer als das, was das Land während der Kriege gesehen hatte. Dieser demografische Absturz erschien hoffnungslos und Russland schien dazu verdammt, zu verschwinden.
Indicators of the Russian demography from 1990 to 2013 | |||||
Year | Births | Deaths | Demographic balance |
Birth rate (1) |
Death rate (2) |
1990 | 1 988 858 | 1 655 993 | 332 865 | 13,4 | 1,89 |
1991 | 1 794 626 | 1 690 657 | 103 969 | 12,1 | 1,73 |
1992 | 1 587 644 | 1 807 441 | -219 797 | 10,7 | 1,55 |
1993 | 1 378 983 | 2 129 339 | -750 356 | 9,3 | 1,38 |
1994 | 1 408 159 | 2 301 366 | -893 207 | 9,5 | 1,38 |
1995 | 1 363 806 | 2 203 811 | -840 005 | 9,2 | 1,34 |
1996 | 1 304 638 | 2 082 249 | -777 611 | 8,8 | 1,28 |
1997 | 1 259 943 | 2 015 779 | -755 836 | 8,5 | 1,23 |
1998 | 1 283 292 | 1 988 744 | -705 452 | 8,7 | 1,24 |
1999 | 1 214 689 | 2 144 316 | -929 627 | 8,3 | 1,17 |
2000 | 1 266 800 | 2 225 332 | -958 532 | 8,6 | 1,19 |
2001 | 1 311 604 | 2 254 856 | -943 252 | 9,0 | 1,22 |
2002 | 1 397 000 | 2 332 300 | -935 300 | 9,6 | 1,28 |
2003 | 1 483 200 | 2 370 300 | -887 100 | 10,2 | 1,32 |
2004 | 1 502 477 | 2 295 402 | -792 925 | 10,4 | 1,34 |
2005 | 1 457 376 | 2 303 935 | -846 559 | 10,2 | 1,29 |
2006 | 1 479 637 | 2 166 703 | -687 066 | 10,3 | 1,30 |
2007 | 1 610 100 | 2 080 400 | -470 300 | 11,3 | 1,41 |
2008 | 1 717 500 | 2 081 000 | -363 500 | 12,0 | 1,50 |
2009 | 1 764 000 | 2 010 500 | -246 500 | 12,3 | 1,54 |
2010 | 1 789 600 | 2 031 000 | -241 400 | 12,5 | 1,56 |
2011 | 1 793 828 | 1 925 036 | -131 208 | 12,6 | 1,58 |
2012 | 1 896 263 | 1 898 836 | -2 573 | 13,3 | 1,69 |
2013 | 1 901 182 | 1 878 269 | 22 913 | 13,1 | 1,70 |
source : Rosstat | |||||
(1) The birth rate is the ratio of the annual number of births over the total average population of the year. It is often expressed in parts per thousand (‰) | |||||
(2) The fertility rate, or fertility index is the ratio of the number of live births in a year over the number of women of reproductive age (15-49 years) |
Text zur Tafel:
Indokatoren russischer Demografie von 1990 bis 2013
Jahr Geburten Todesfälle demografische Bilanz Geburtenrate Sterberate
Im Jahr 2000, als Putin an die Regierung kam, begann die Geburtenrate wieder zu steigen, nachdem sie im Jahr 1999 auf den tiefen Stand von 8,3/000 gefallen war. Seitdem ist die Geburtenrate immer weiter gestiegen.
Geburtenrate in Russland pro Tausend Einwohner
Ab 2005 begann sich die demografische Situation in Russland zu verbessern. Nach fünf Jahren der neuen Regierung wurde eine Erhöhung des Lebensstandards wahrnehmbar. Die Rückkehr der staatlichen Autorität in der Gesellschaft ermöglichte es den öffentlichen Einrichtungen, besser zu arbeiten, insbesondere auf dem Feld der Medizin, das in den 90ern besonders schwer betroffen war, und das führte zu einer Stabilisierung der Sterblichkeit. All dies trug dazu bei, wieder Vertrauen zu schaffen, in den Haushalten und den russischen Familien. 2005 traten auch auf die Demografie abzielende staatliche Massnahmen in Kraft, die Familien finanziell unterstützen sollten, vor allem durch eine Finanzhilfe, die das Mütterkapital genannt wurde und von der Familien drei Jahre nach der Geburt des zweiten Kindes profitieren sollten, also beginnend mit dem Jahr 2008.
2008 brach die weltweite Finanzkrise aus, aber sie hatte keine Auswirkungen auf die russische Bevölkerung, weil in diesem Jahr die Eltern erstmals das Mütterkapitalerhielten. Zudem erreichte in dieser Zeit die Zahl der Frauen zwischen 18 und 29 Jahren, denen drei Viertel der Geburten zu verdanken sind, ihren historischen Höchststand. Seitdem ist die Bruttogeburtenrate kontinuierlich gestiegen, während die Sterblichkeit deutlich zurückging. Die Weltwirtschaftskrise hemmte folglich den fortgesetzten Anstieg der russischen Geburtenrate nicht, was bestätigte, dass der anhaltend positive Trend dem Land selbst zuzuschreiben war.
Russische Geburtenrate und Sterblichkeit von 1990 bis 2013
Bruttozahlen
2012 erreichte die jährliche demografische Bilanz erstmals seit 1991 den Wert Null, was eine stabile Bevölkerung anzeigt. Und im Jahr 2013 ist sie leicht positiv, mit einem Zuwachs von 23 000 Personen.
Demografische Bilanz Russlands von 1990 bis 2013
Bruttozahlen
Nachdem sie in den späten 90ern mit weniger als 1,2 Geburten je Frau ihren Tiefstand erreicht hatte, stieg die Reproduktionsrate 2012 bis auf 1,7, was immer noch niedrig ist, aber über dem Durchschnitt der EU liegt (1,6), etwa auf gleicher Höhe wie Dänemark oder Holland. Zu behaupten, dass die russische Reproduktionsrate eine “der niedrigsten der Welt” sei, wie es Mascha Gessen in ihrem Artikel behauptet, ist Fantasie. Diese zweifelhafte Ehre ist Ländern wie Singapur (0,8), Taiwan (1,1), Südkorea, Bosnien, der Ukraine, Polen, Slowenien (1,3) und Deutschland (1,4) vorbehalten.
Reproduktionsrate in Russland von 1990 bis 2013
Lebendgeburten/ Frau im fruchtbaren Alter
Seit Anfang 2014 hat sich dieser positive Trend fortgesetzt und sogar gesteigert. In den ersten sieben Monaten des Jahres 2014 haben daher die russischen Frauen 18 729 Kinder mehr zur Welt gebracht als während des selben Zeitraums des Jahres 2013: eine Summe von 1,12 Millionen Geburten gegen 1,1 Millionen im Vorjahr, ein Zuwachs von 1,7%. Gleichzeitig hat das Land 8 890 Sterbefälle weniger verzeichnet, 1,12 Millionen gegen 1,13 Millionen im Jahr zuvor, ein Rückgang von 0,8%. Die demografische Bilanz ist binnen sieben Monaten um 27 619 Personen gestiegen. Im Verlauf des Jahres 2014 ist mit einem natürlichen Bevölkerungszuwachs in Höhe von etwa 40 000 Personen zu rechnen.
Welche Bevölkerung wird Russland 2030 haben?
Natürlich ist die demografische Krise Russlands nicht vorüber: die niedrige Geburtenrate der Jahre 1995 bis 2005 wird sich unvermeidlich wiederspiegeln, wenn diese Altersgruppen das Reproduktionsalter erreichen. Da eine durchschnittliche russische Frau ihr erstes Kind im Alter von 30 Jahren hat, können wir einen Rückgang der Geburtenrate zwischen 2025 und 2035 erwarten.
Frauen im gebärfähigen Alter (Millionen)
Dieser logische Rückgang der Geburten im Verlauf der nächsten zehn Jahre sollte allerdings von einem Rückgang der Sterblichkeit begleitet werden, da die Lebenserwartung deutlich gestiegen ist (von 64 Jahren zum Zeitpunkt der Geburt im Jahr 2003 auf 71 in 2013). Daher sollte sich die Bevölkerung stabilisieren und natürlich altern.
Die Lösung für Russland ist die Einwanderung: sie ist der Schlüssel zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes, also für sein Überleben. Im Laufe des letzten Jahrzehnts blieb die Einwanderung auf einem niedrigen Niveau, zwischen 250 000 und 300 000 neuen Einwohnern pro Jahr. Wenn man den besorgtesten unter den russischen Spezialisten folgt, müsste sie für die nächsten zwanzig Jahre auf 600 000 Personen jährlich steigen, um den drohenden Mangel an Arbeitskräften erfolgreich zu bekämpfen.
150 Millionen Russen im Jahr 2030?
Während der letzten zehn Jahre waren Prognostiker, die des russischen Instituts für Statistik, Rosstat, eingeschlossen, pessimistisch in Hinsicht auf die Entwicklung der russischen Bevölkerung. Zwischen 2006 und 2008 erstellten drei Institute Vorhersagen: Rosstat, HSE und die Vereinten Nationen. Die beiden optimistischeren, Rosstat und HSE, prognostizierten ein Defizit von 500 000 im Jahr 2013. Die pessimistischste, die der Vereinten Nationen, erwartete einen Rückgang um 750 000. Letztlich war die Bilanz Null.
Entwicklung der russischen Bevölkerung von 2008 bis 2013
Vergleich zwischen Prognose und Wirklichkeit
Ein weiteres Beispiel dieses durchdringenden Pessimismus: in der mittelfristigen Prognose, die Rosstat 2011 veröffentlichte (auf den Zahlen von 2010 basierend), war das pessimistische Szenario eine Bevölkerung von 128 Millionen im Jahr 2030 und das optimistische eine von 150 Millionen. Um dieses optimistische Szenario zu erreichen, sollte die russische Bevölkerung Anfang des Jahres 2015 die Höhe von 143 Millionen erreichen. Heute jedoch, 2014, können wir sehen, dass die Schwelle von 143 Million schon im Januar 2012 erreicht wurde, drei Jahre früher.
Der Bevölkerungsrückgang, den Russland theoretisch im Verlauf des kommenden Jahrzehnts erfahren müsste, könnte also viel geringer ausfallen als erwartet. Man kann sich sogar vorstellen, dass die russische Bevölkerung im Jahr 2030 bedeutend angewachsen ist. Das ermöglicht eine weitaus weniger besorgniserregende Prognose der demografischen Zukunft Russlands als es der Artikel der NYR nahe legt, und lässt die Schätzungen, dass die russische Bevölkerung im Jahre 2030 die symbolische Zahl von 150 Millionen erreichen könnte, realistisch erscheinen.
Die Demografie der westlichen Nachbarn Russlands ist weniger vielversprechend
Am Schluss dieser kurzen Übersicht über die russische Bevölkerungsentwicklung ist es interessant, sie mit jener seiner unmittelbaren westlichen Nachbarn, ehemaligen Mitgliedern des sowjetischen Blocks, zu vergleichen: Weißrussland, Estland, Lettland, Litauen und die Ukraine. Wir sehen, dass Russland aufholt, während andere weiter abstürzen, insbesondere Lettland und Litauen.
Veränderungen in der Bevölkerung Russlands und seiner westlichen Nachbarn von 1992 bis 2014 (2000 = 100)
Die (zu) gut geölte Propaganda der neoliberalen Aktivisten
Worte und Schriften der westlichen Stichwortgeber (der Experten, die die Mainstreammedien füllen) kreisen ständig um die Vorstellung einer demografischen Katastrophe in Russland, die das Scheitern der Politik des Kreml illustrieren würde. Davon sind sie geradezu besessen, weshalb sie alles verleugnen, was seit 1999 geschehen ist, als Putin an die Macht kam. Die Medien feuerten ihren ersten Schuss im Sommer 2011, indem sie wiederholt verbreiteten, ein “Fünftel der Russen will aus Russland auswandern (…)”, dass “gemäß offizieller Zahlen von 2008 bis 2011, etwa 1,2 Millionen Menschen Russland verlassen haben (…)” und dass “diese Zahlen im scharfen Gegensatz zu den patriotischen Slogans und den ehrgeizigen Projekten des Kreml stehen”. Aber diese Vorhaltungen waren so empörend, da diese Aussagen auf falschen Zahlen beruhten, dass der Angriff der Medien scheiterte.
Drei Jahre später grub Mascha Gessen die zusammengeschusterte Sage wieder aus, die eines sterbenden russischen Volkes, um ein bereits fehlinformiertes westliches Publikum weiter in die Irre zu führen. Die aktivistische Journalistin erkärte, Russland würde sowohl unter den niedrigen Geburtenraten des Westens als auch unter der hohen Sterblichkeit Afrikas leiden. Bei genauerer Untersuchung der Zahlen, wie wir es getan haben, kann man jedoch die spektakuläre Erneuerung der russischen Demografie seit den frühen 2000ern sehen, die ganz gegen die Behauptungen von Mascha Gessen und der überwiegenden Mehrheit der westlichen Demografieexperten verlaufen ist.
Es ist schwierig, zwischen dieser demografischen Erholung und den Massnahmen, die Präsident Wladimir Putin ergriffen hat, um Familien zu mehr Kindern zu ermutigen, keinen Zusammenhang zu erkennen. Diese wirkungsvolle, freiwillige Geburtenpolitik, die die traditionelle Familie und Geburtenrate unterstützt, hat in der russischen Bevölkerung für den Wunsch, den Mut, aber ebensosehr und zuvorderst, die Mittel gesorgt, Kinder zu haben.