Moskau, Hauptstadt Europas ?

Fast alle Franzosen sind zutiefst europhil und da ist es paradox, dass Ausländer, die nach Frankreich kommen, dort oft auf relative Engstirnigkeit, eine Unkenntnis fremder Sprachen und einen häufig überzogenen Chauvinismus stoßen.
Waren doch die Franzosen Ausgangspunkt des ersten Versuchs  einer europäischen Integration im 9. Jahrhundert, als Karl der Große, Kaiser des Westens, am Ende seiner Regierungszeit an der Spitze eines Kontinental-Reichs stand, das das heutige Frankreich, Teile von Spanien und Italien einen Teil der germanischen Welt und den Balkan umfasste.
Für viele Intellektuelle und Historiker, ist Karl der Große der Vater Europas.
Leider, oder zum Glück für Europa, zerfiel nach seinem Tod sein Reich wieder in Einzelteile.

Die zweite französische Versuch Europa zu bauen ist der von Napoleon, dessen Vorstellung es war, ein riesiges Kontinental-Gebiet von Korsika nach Moskau zu kontrollieren. Es ist bekannt, vor allem in Russland, wie dieser korsische Versuch, Europa mit Waffen zu schaffen im Jahr 1812 am Widerstand des russischen Volkes und an einem schrecklichen Winter scheiterte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg fand sich Europa wieder aufgeteilt auf zwei Blöcke, einen US-transatlantischen und einen kontinentalen sowjetischen Block.
  • Im Westen wurde Europa mit amerikanischem “Geld” aus dem Marshall-Plan aufgebaut, im Gegenzug für dessen Integration in die NATO, eine Allianz von militärischen US-Gehorsam die 1949 gegründet wurde, um jeglichen imperialistischen Absichten der Sowjetunion zuvorzukommen.
  • 1955 wurde mit den Ländern Osteuropas unter sowjetischer Herrschaft der Warschauer Pakt gegründet, ein militärisches Bündnis als Reaktion auf NATO.
Die französische Europhilie manifestierte sich erneut, als im Jahr 1967  General de Gaulle sein Land aus der NATO austreten liess und ihm den Zugang zu Atomkraft verschaffte.
Indem er hier der angelsächsischen Welt den Rücken zukehrte, zeigte er damit sein visionäres Projekt des europäischen Kontinents, den vorläufigen Eisernen Vorhangs aufzuweichen und er predigte die historische Annäherung an Deutschland und Russland als Teil eines europäischen Festlandes vom Atlantik bis zum Ural.

 

Im Jahr 1960 hatte sich Paris so als politische Kapitale positioniert und Frankreich unternahm einen neuer Versuch Europa zu schaffen.
Diese gaullistische Idee einer Achse Paris-Berlin-Moskau, und die Behauptung, dass Russland, damals die Sowjetunion, zu Europa gehöre, erwies sich im Laufe der Zeit mehr und mehr als richtig.In Frankreich gibt es immer wieder Diskussionen Russlands Zugehörigkeit zu Europa.
Viele Menschen, die nur wenig oder schlecht über Russland informiert sind, fragen Sie mich nach dieser Grenze, die de Gaulle im Ural sah.
Der Ural, die geographischen Grenze zwischen Europa und Asien, ist das wirklich eine Grenze im Herzen von Russland oder Europa?

 

Die Menschen, die wir jenseits des Ural treffen können, sind sie wirklich so verschieden vom westlichen Teil Russlands? 
Solche Fragen lassen wohl jeden lächeln, der dieses Land kennt, aber sie sind dennoch nicht erfunden und aus meiner Sicht verständlich sowohl durch den semantischen Fehler von General de Gaulle, wie durch die verbreitete relative Unkenntnis des heutigen Russland.

 

Seit ich in Russland leben, kann ich nur bestätigen, was ich auch schon vorher dachte, dass Russland ein sehr europäisches Land ist. Sehr europäisch, sowohl durch die Art der Mehrheit der Menschen, die orthodoxe Slawen sind, als auch durch das dominante kulturelle Erbe, das Erbe von Rom und Athen.
Dieser europäische Aspekt Rußlands gilt für das Gesamte, ob in Moskau, dem Herzen von Sibirien bis an die Pazifikküste in Wladiwostok, im Kaukasus oder in Nord-Karelien. Selbst Kazan im Osten Europas ist nicht weniger europäisch als Sarajevo.
Man muss allerdings einräumen, dass Russland kein Land wie jedes andere Land in Europa ist. 
Durch seine Größe, seine vielen Nationalitäten, seine geographische Ausdehnung bis nach Asien und an den Pazifik, ist Russland ein Imperium, ein Riese, dessen Wirbelsäule sicher europäisch ist,wenn auch einige Wirbel manchmal asiatischen oder tatarisch, manchmal Muslimisch oder buddhistisch sind.
In der Tat habe ich meinen französischen Freunden oft gesagt, dass wir von Russland viel lernen könnten hinsichtlich der Verwaltung des “multikulturellen”, um das Europa noch kämpft.

 

Wenn heute Russland und die NATO die Schaffung einer Sicherheits-Architektur der nördlichen Hemisphäre diskutieren von Vancouver bis Wladiwostok, bestehen weiter große Unterschiede.
  • Die Vereinigten Staaten, versuchen über die NATO aus West-und Osteuropa im eurasischen Kontinent, dem essentiellen “Theater” der Geopolitik vorzudringen.
Russland ist Mitglied der “Shanghai Cooperation”; die oft als asiatische NATO bezeichnet wird, wünscht sich, dass sich Europa diesem Bündnis einer neuen kontinentalen Sicherheitsarchitektur anschließt.
In diesem Sinne sind die russischen Vorschläge, eine kontinentale Sicherheitsarchitektur und einen gemeinsamen einheitlichen Markt von Lissabon bis Wladiwostok zu schaffen, gleichermaßen visionär wie seinerzeit die gaullistischen.

 

Der einzige Unterschied ist der, dass der politische Schwung jetzt aus Moskau kommt und nicht aus Paris wie vor 40 Jahren.
Dafür gibt es gute Gründe, denn von Moskau aus gesehen , erstreckt sich Europa mehr als 4000 Kilometer nach Westen bis zum Atlantik und ist etwa 6500 km nach Osten über Sibirien bis zum Pazifik.

 

Der politische Schwerpunkt Europas hat sich einfach gen Osten verschoben.
Eine Allianz Paris-Berlin-Moskau würde es den Europäern ermöglichen, die nach 1945 nicht in der Lage waren, für sich eine echte politische und militärische Autonomie herzustellen, nicht länger in die Zwangsjacke der einseitigen NATO eingesperrt bleiben zu müssen und wichtige Beiträge zu leisten in so wichtigen Regionen der multipolaren Welt von morgen wie dem Kaukasus, Zentralasien und dem pazifischen Asien.

Warum sollte nach Paris gestern und Brüssel heute also nicht morgen Moskau die Hauptstadt von Europa sein ?

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